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Der aphasische Dichter ist vom Pegasus gestiegen

Der Lyriker Peter Rother war über anderthalb Jahrzehnte mit seiner Sendung „Der aphasische Dichter reitet seinen Pegasus“ fester Bestandteil des Programms von coloRadio. Er verstarb am Abend des 19. Dezember 2024 in einem Dresdner Krankenhaus im Alter von 72 Jahren.

Peter Rother kam aus Gera in Thüringen. Nach der Ausbildung bei Carl Zeiss Jena zum Datenverarbeitungsmechaniker machte Peter Rother Dresden zu seiner Wahlheimat. Doch weder der erlernte Beruf noch das aufgenommene Informationstechnik-Studium an der Technischen Universität in Dresden konnten ihn so in den Bann ziehen wie die Lyrik.

Er schrieb erste Gedichte, veröffentlichte sie als sogenannte Samizdat-Literatur, begründete die „Experimentierbühne Bärenzwinger“ mit und studierte von 1978 bis 1982 am Leipziger Institut für Literatur „Johannes R. Becher“. Er lernte die damals junge Sängerin Tamara Danz kennen, traf auf die Lyriker wie Erich Ahrendt, Peter Huchel, Adolf Endler und Elke Erb, die ihn und sein Werk maßgeblich prägten.

Peter Rother begründete 1982 das Literaturzentrum des Bezirks Dresden mit und leitete es bis zu seinem Einzug als Reservist in die NVA.
Danach organisierte er Kulturveranstaltungen für verschiedene Kulturhäuser und die Feldschlößchen-Brauerei in Coschütz.

Immer wieder eckte Peter Rother an. Der Zerfall der DDR, der Zerfall seiner jungen Familie und gesundheitliche Probleme machten das Leben für Peter Rother nicht leichter.
Mit den neuen Chancen kamen neue Herausforderungen und Probleme auf ihn zu.
Er sah sich oft massiver Kritik ausgesetzt, die er auch mit Privilegien in Verbindung brachte, die er in der DDR genoss. Er konnte frei reisen, war oft in Westdeutschland und West-Berlin, traf dort Größen des Literatur- und Kulturbetriebs.

Peter Rother gehörte zu den Begründerinnen des Dresdner Jugendzentrums AZ Conni, damals noch auf der Conradstraße. 1990 kam der große Einschnitt, der die zweite Hälfte seines Lebens maßgeblich prägen sollte. Ein Blutgefäß in seinem Gehirn platze. Er kam ins Krankenhaus, lag im Koma. Als er wieder zu sich kam, war sein Sprachzentrum stark beschädigt. Der Lyriker Peter Rother war nun der Aphasiker Peter Rother. Er konnte nicht mehr sprechen. Das Leben, das er bis dahin geführt hatte, war nun Vergangenheit.

In kleinen Schritten und mit viel Mühe brachte er sich das Sprechen wieder bei. Diese Kraft wollte er mit anderen Menschen teilen und leitete später die Dresdner Selbsthilfegruppe für Aphasiker*innen. Er knüpfte Kontakte zu anderen Hilfseinrichtungen für Aphasiker*innen in Sachsen und unterstütze Menschen mit ähnlichen Krankheitsgeschichten.

Mit der Sendezeitausweitung des Programms von coloRadio im Februar 2007 erhielt Peter Rother eine Chance, die den letzten Abschnitt seines Lebens stark beeinflusste. Er erhielt zunächst 60 Minuten Sendezeit, die später auf zwei Stunden und in den letzten vier Jahren auf zweieinhalb Stunden aufgestockt wurde. Seine Sendung „Der aphasische Dichter reitet den Pegasus“ war eine bunte Mischung aus Lyrik, Literatur, Tipps für Aphasiker*innen, Berichterstattung über den Dresdner Volleyballverein DSC, Nachrichten aus Syrien, Ostrock, polnischem Jazz, Chancon und zeitgenössischer Musik aller Genres. Dabei folgte er stets einer festen Struktur. Die gab ihm Halt und den Hörer*innen einen Wiedererkennungseffekt.

Während der Corona-Pandemie mussten viele seiner Live-Sendungen ausfallen. In der Zeit danach ging Peter Rother das Bedienen der Radiotechnik immer weniger leicht von der Hand. Seine Mobilität ließ nach. Die Recherche nach neuer Musik, nach neuen Themen und das Produzieren der Sendung brauchte Unterstützung aus den Reihen der Radio-Initiative Dresden e.V. und des Zentralwerks. Dennoch nahm Peter Rother aktiv am Dresdner Kulturleben teil, solange es ging. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen organisierte Lesungen mit ihm. Man traf ihn auf Premieren von Independent Filmen, bei Konzertven von Patti Smith, Udo Lindenberg oder Punk-Bands aus Dresden. Er wollte immer im Bilde sein, studierte Musikmagazine und Lyrik-Neuveröffentlichungen.

Peter Rothers letzte Sendung lief am 03. Dezember 2024, 18-20:30 Uhr. Am 6. Dezember stürzte Peter Rother in seiner Wohnung. Während seines Krankenhausaufenthaltes verschlechterte sich sein Zustand. Am 19. Dezember 2024 verstarb er im Städtischen Klinikum Dresden, im Standort Friedrichstadt gegen 21 Uhr.

Von einer öffentlichen Trauerfeier sieht seine Familie ab. Die Radio-Initiative Dresden e.V. behält sich jedoch in Abstimmung mit den Hinterbliebenen vor, selbst eine angemessene Abschiednahme für die Menschen zu organisieren, die ihm nahe standen. Darüber werden wir an dieser Stelle informieren.

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